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Karli

Karli, schwarzes Häschen aus der schwarzen BoxKarli, schwarzes Häschen aus der schwarzen BoxIm Mai 2011 rief mein Mann an: Das schwarze Häschen, das ihm schon zwei Tage zuvor in einem Vergnügungspark aufgefallen war, der u. a. einen sogenannten Streichelzoo unterhält, sitze immer noch ohne Futter und ohne Wasser in einer schwarzen Box in einem Versorgungsraum… Natürlich konnte ich mich erinnern. Er hatte mir erzählt, dass eine "innere Stimme" ihn Tage zuvor eben in diesen Raum geführt hatte und in der dunkelsten Ecke das vergessene Häschen hat finden lassen. Ob er es mitbringen könne? Aber na klar, das arme Häschen! Abends saß Karli dann bei uns in einem Papageienkäfig, den wir in unserer Scheune gefunden hatten, und ich vor dem PC, um mich über Kaninchen schlau zu machen.

Kein Haustier, glaube ich, wird so verkannt wie das Kaninchen. Schlechthin als genügsam und wenig anspruchsvoll bekannt, lernte ich an diesem ersten Abend das Gegenteil. Aufgrund dieser Erfahrung habe ich den emotionalen Abschnitt über artgerechte Haltung dem Beitrag "Sylvis Rudel" vorangestellt. Die Aufnahme eines Tieres will gut überlegt sein, wenn man das Tier artgerecht halten will. Mitleid allein reicht einfach nicht aus!

Zwei Quadratmeter Freilauffläche pro Nase Minimum, ein Partnertier ist unerlässlich, Trockenfutter verursacht u. a. Darmkrankheiten und Zahnprobleme, Grünfutter und Saftfutter sind unentbehrlich, Bespaßung ist lebensnotwenig, Hochnehmen und plötzliches Anfassen verursacht Todesangst, Kuscheln nur mit Artgenossen, Meerschweinchen sind keine Partner - dies sind nur die Highlights, die meist unbekannt sind. Interessant ist auch bei der Aufnahme solcher Tierchen die Tatsache, dass es eben keine Häschen, sondern Kaninchen sind; zwischen beiden Arten bestehen wesentliche Unterschiede.

Ehrlich gesagt könnte ich jetzt noch Seiten über die Bedürfnisse von Kaninchen füllen, halte mich aber zurück, auch wenn’s schwer fällt. Es gibt wunderbare Seiten im Internet, die informativ sind und zugleich Foren für dringende Fragen bieten. Wer über die Anschaffung eines Kaninchens nachdenkt, und es für ein geeignetes Knuddeltier für Kinder hält, das still und leise im Stall im Kinderzimmer leben soll, bitte unbedingt vorher im Internet über die artgerechte Haltung von Kaninchen recherchieren!

Karli musste also kastriert werden, brauchte dann einen weiblichen Partner, und überhaupt genügend Platz zum Laufen. Die ersten Planungen für ein Freilaufgehege begannen.

Zunächst aber war Karli ausgesprochen scheu, ängstlich und verstört. Anderen Kaninchen gegenüber war er extrem dominant, und es hat lange Zeit und viele Vergesellschaftungsversuche gebraucht, damit sich sein Misstrauen legt und er ein fröhliches Kaninchen wird. Nelly half ihm hierbei, und zum ersten Mal erlebte ich Karli entspannt und zufrieden.

 


 

Nachruf:
Abschied von Karli, dem schwarzen Häschen in der schwarzen Box

Karli, kleines schwarzes Löwenköpfchen, ich habe nie erfahren, welche fürchterlichen Dinge Du erlebt hast, bevor Du zu uns gekommen bist. Vorstellen kann ich mir allerdings vieles.

Sobald eine Hand sich Dir näherte, hast Du Dich in den hintersten Winkel verzogen, hast Dich so klein wie nur möglich gemacht, und Dein Gesichtsausdruck sprach Bände. Hatte ich Dich dann doch einmal auf den Arm genommen, bist Du sofort an mir hochgeklettert und hast mich beschwichtigt, auf Kaninchenart: Du hast mir den Hals abgeschleckt, um sicher zu gehen, dass ich Dir kein Leid zufüge. Denn wer den anderen putzt, der ordnet sich unter. Aber das wusste ich am Anfang natürlich überhaupt nicht und fand Dich "süß". Trafst Du auf andere Kaninchen, bist Du sofort vorgeschnellt, um den Konkurrenten zu verscheuchen, stets in extremer Kampfbereitschaft. Anfangs habe ich gesagt, wärest Du ein Hund, wärest Du ein Angstbeißer. Und letztendlich warst Du das auch, Du armes, verstörtes "Angst-Häschen".

Du warst das erste Kaninchen, das bei uns eingezogen ist. Du warst das Kaninchen, das alles auf den Kopf gestellt und verändert hat: Meine bisher bekannte, heile Welt. Meine bisher aus Erfahrungen gesammelten schlauen Einstellungen. Mein bisheriges Leben. Du kamst als "das schwarze Häschen aus der schwarzen Box" zu uns, und für mich wirst Du für immer dieses besondere "schwarze Häschen aus der schwarzen Box"bleiben. Und weil mit Dir alles anfing, bildete ich mir ein, Du würdest ewig bei uns bleiben.

Unzählige Male habe ich die offizielle Geschichte berichtet. Dass mein Mann während eines Gelegenheitsjobs zu Hause anrief, von diesem Vergnügungspark aus, der gleichzeitig einen Streichelzoo betrieb. Es gab dort Ziegen, Esel, aber vor allem Kaninchen, und alle waren verwahrlost, krank, in schlechtem Zustand. Und jetzt, da Du gegangen bist, muss ich die Geschichte wiederholen, wie Du zu uns fandest, auch wenn ich sie schon so oft erzählt habe, aber diesmal im Detail:

Pfötchenmann war, einem Auftrag folgend, auf dem Gelände des Vergnügungsparks unterwegs, als "jemand" ihn rief. Eingebung, Ahnung, Einbildung? Wer rief, was oder wohin er gerufen wurde, das war weder klar verständlich noch eindeutig. Aber die Stimme, die er spürte, machte es dringend, sehr dringend.
Es steht jedem frei, diese Erzählung in Zweifel zu ziehen oder mit einem Lächeln abzutun. Gerne, nur zu. Ich habe allerdings nie auch nur einen Moment daran gezweifelt. Jahre später, als "die Stimme" ihn in noch größerer Verzweifelung ein zweites Mal rief, da war ich dabei.

Ohne weiter nachzudenken, folgte Pfötchenmann dem leisen Ruf, und betrat diesen Versorgungsraum, abseits des Vergnügungsgetümmels. Ratlos stand er dort, sich nicht im Klaren darüber, was er erwartete dort zu finden. In diesem Raum gab es nur (Kaninchen-)Käfige, die vor Dreck standen, jede Menge Unrat und Abfall, eingedrückte Kartons und dunkle Boxen, denen ein Geruch entströmte, der nicht sehr einladend für eine weitere Verweildauer war.
Dieser "Ruf" eben war ja wohl nur Einbildung gewesen, wie? Albern, was?
Bevor Pfötchenmann den Raum wieder verlassen konnte, hörte er "es" wieder. Aber was war "es" genau? Ein Geräusch? Eine Stimme? Was? Unschlüssig sich ein letztes Mal umsehend wurde sein Blick von einer dunklen, schwarzen Box angezogen. Was war in dieser Box?

Dort warst Du, Karli. Du warst in dieser schwarzen Box. Ein schwarzes Kaninchen, ohne Heu, ohne Stroh, ohne Wasser. Ohne Irgendetwas. Da waren nur Du und diese schwarze Box. Nichts weiter.

Logisch, oder, dass das erste an diesem Abend, was Pfötchenmann mir erzählte, die rufende "Stimme" und das schwarze Häschen in der schwarzen Box waren. Und logisch, dass wir uns gegenseitig beruhigten, dass alles seine Ordnung habe und dass das Kaninchen sicherlich gerade "angekommen" und später seinen Platz im Vergnügungspark finden würde.
Logisch war aber auch, dass Pfötchenmanns erster Gang bei seinem Einsatz im Vergnügungspark zwei Tage später direkt zum Versorgungsraum führte. Was er dort vorfand, ließ ihn direkt bei mir anrufen: "Das schwarze Häschen in der schwarzen Box ist immer noch hier. Und es hat immer noch nichts zu essen und nichts zu trinken. Es ist einfach vergessen worden. Kann ich es mitbringen?" Wie schnell habe ich "Ja" gesagt? Nach einer oder einer halben Sekunde?

Wir waren ja gerade umgezogen, in ein altes Fachwerkhaus in der Eifel. In der dazugehörigen Scheune stand ein alter Papageienkäfig. Und es lagerte dort jede Menge frisches Heu und Stroh, ballenweise. Für den ersten Abend fühlte ich mich vortrefflich vorbereitet, ein kleines Häschen willkommen zu heißen.

Und dann kamst Du, Karli. Ich habe Dich aus der Transportbox gehoben, nur Haut und Knochen gefühlt, und Dich in den Papageienkäfig gesetzt, schön ausgepolstert mit Stroh und weichem Heu. Vorsorglich hatte ich vorher noch Nagertrockenfutter im Nachbarort besorgt, das ich Dir direkt anbot. Oh ja, Karli, von Kaninchen hatte ich wirklich keine Ahnung. Mir war nur bekannt, was früher in meiner Kindheit üblich war, und das habe ich wohlmeinend angewendet.

Du warst fürchterlich verschreckt, kein Wunder. Erstens, weil Du sowieso als Kaninchen und Fluchttier von Haus aus in bedrohlichen Situationen verschreckt bist, und zweitens weil Du schlimme Dinge erlebt hattest, die Dich nie wieder als soziales Wesen haben agieren lassen können. Aber das wusste ich alles noch nicht.

An diesem Abend und den folgenden Abenden habe ich im Internet über Kaninchen recherchiert. Und ich habe soviel in kürzester Zeit gelernt, dass mir noch heute die Schamesröte über meiner Unwissenheit ins Gesicht steigt.

Es sollten noch drei weitere Kaninchen - Fleck, Schnuppie und Bella - sowie der Degu Maus aus dem Vergnügungspark folgen. Aber Du, Karli, Du warst der Erste. Du, Karli, hast "den Stein ins Rollen" gebracht. Du warst der Anfang.

Du hast mein Leben komplett auf den Kopf gestellt. Du als der Erste wirst immer für mich das Symbol, der Auslöser für mein Umdenken sein, das schon lange überfällig war. Du bist das "schwarze Häschen in der schwarzen Box".

Alles Tierleid, jegliche Gewalt gegenüber Tieren hatten mich bisher immer berührt, auch sehr betroffen gemacht, aber niemals dermaßen im Innersten getroffen wie Deine Geschichte. Hineingestopft in eine schwarze Box, alleine, verstoßen, vergessen, dem weiteren Schicksal überlassen. Ist ja nur ein Kaninchen. Egal. Die Welt geht nicht unter, wenn ein Kaninchen verhungert oder verdurstet, weil es einfach nur vergessen wurde.

Als Du so vor mir saßest, dort in diesem überdimensionierten Papageienkäfig, verstört und verängstigt, da musste ich Dich einfach heraus nehmen und an mich drücken. Und Du bist an mir hoch gekrabbelt und hast mir hektisch den Hals abgeschleckt: "Schau. Ich bin Dir unterlegen. Also bitte tu mir nichts…". Ich habe Dir nichts getan. Dachte ich. Dass das Hochnehmen, Festhalten und Drücken alleine schon Panik verursachte, das war mir nicht bewusst.

Karli, als Du zu uns kamst, war ganz offensichtlich Deine Seele verletzt. Ich habe das wahrgenommen, aber nicht an mich herangelassen. Fleck kam als Nächster; er erschien nur halb verstört, aber einfach nur, weil er stärker war als Du und seine Angst besser verbergen konnte. Schnuppi, der als drittes Böckchen zu uns kam, war nicht nur seelisch, sondern auch körperlich misshandelt. Und das, ja, es tut mir leid, erst das hat in meinem Hirn einen Schalter umgelegt. Und das hat mich fast um den Verstand gebracht.

Als Schnuppie bei uns einzog, war sein Hinterteil eine einzige Wunde. Ich habe zunächst versucht, die Verkrustungen mit einem Kamillenbad abzulösen. Der arme Wurm war so apathisch, dass er alles mit sich hat machen lassen. Saß in einer Plastikschüssel voller Kamillentee und hat gewartet, bis alles vorüber ist. Weil ich ihm nicht helfen konnte, brachte ich Schnuppie zum Tierarzt. Und dieser riss - ja RISS - die Verkrustung, die Schnuppies gesamtes Hinterteil bedeckte, einfach so ab. Hat jemand schon einmal ein Stück Jeans zerrissen? Es geht sehr schwer, denn der Stoff sträubt sich, weil er so fest und dick ist. Und hierbei entsteht ein Geräusch, es ist wohl ein Reißgeräusch, aber eher ein Krachen und Knarzen, weil eben Jeans reißfest ist und sich wehrt.
Ich habe laut geschrien in der Tierarztpraxis. Der Tierarzt war peinlich berührt, aber das war mir egal. Ich war einfach fassungslos, dass während dieser "Behandlung" Schnuppie keinerlei Regung von sich gab. Das war meine erste Begegnung mit der einzigartigen Leidensfähigkeit von Kaninchen.

Danach war ich nicht mehr ich selbst. Jeder, der mir in die Quere kam, wunderbar, Konfrontation herzlich willkommen!

Nicht jeder wird meine aggressive Reaktion verstehen können. Tiere werden verwundet und misshandelt, viele getötet, aber das ist ja nicht so schlimm, weil es ja nur Tiere sind. Und Tiere erleben den Schmerz ja nicht so wie wir. Warum also so viel Aufhebens?

Ich weiß gar nicht, wie viele Artikel und Bücher ich seit damals gelesen habe, die sich mit der Empfindungsfähigkeit von speziell Säugetieren befassen. Alle fühlen sie genauso wie der Mensch den Schmerz, empfinden Todesangst, sind soziale Wesen, brauchen Partner, brauchen Zuneigung, sinnvolle Beschäftigung, ausreichende Bewegung und vor allem ein artgerechtes Leben. Freiheit…

Um jedes Tier, und sei es noch so klein, werde ich immer Aufheben machen. Durch Euch zehn Kaninchen konnte ich beobachten, was ich in der Literatur las: Dass jedes Tier ein Individuum ist, egal ob Pferd, Kaninchen oder Huhn. Daher werde ich immer versuchen, alles für das Wohlbefinden jedes mir anvertrauten Tieres zu tun. Stellvertretend für all jene, deren Schicksal schon bei der Zeugung besiegelt ist.

Ein einzelnes Tier zu retten, verändert nicht die Welt.
Doch die ganze Welt verändert sich für dieses eine Tier.
(Verfasser unbekannt)

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Karli, Dein Tod war für mich - ich kann nicht in Worte fassen, was Dein Tod wirklich für mich bedeutet. Im September 2014 bist Du gestorben, und jetzt, im Januar 2015, verfasse ich eine Art Nachruf. Unglaublich.

Ich werde immer versuchen, alles für das Wohlbefinden jedes mir anvertrauten Tieres zu tun. Großartige Worte. Schon Schnuppie und Fleck gegenüber konnte ich mein Versprechen nicht halten, mein Versprechen von einem langen, glücklichen Leben mit einer süßen Partnerin, nur für sie alleine. Lange habe ich gebraucht um einzusehen, dass ich bei beiden alles versucht, aber gegen ihre Krankheiten schlicht verloren habe.

Deinen Tod aber, Karli, den hätte ich verhindern können. Es gibt viele denkbare Rechtfertigungen, die mich entlasten könnten, aber ich lasse keine gelten.
Ja, wir wussten nicht, wie alt Du wirklich warst –vielleicht warst Du schon ein Opi? Bei Kaninchen weiß man das ja nie so genau.
Ja, Du hast Dich zeitweise wie ein Angsthase benommen, aber hauptsächlich hast Du gekämpft mit allen Kaninchenmitteln, und das sehr oft und sehr gemein.
Ja, Du hast nicht locker gelassen und hast um Deinen Platz in der Gruppe gerungen, genauso wie es in der Literatur beschrieben ist. Also war alles ganz normal und niemand hätte damit rechnen können.

Alles für mich zu einfach, Karli, denn für mich steht fest:
Ich habe meinem Instinkt misstraut. Ich habe Deine Hilferufe ignoriert. Ich habe Dir mehr zugetraut, als Du, du verstörtes kleines schwarzes Häschen aus der schwarzen Box, zu leisten vermocht hast. Anstatt Dir aktiv zu helfen, habe ich Dich alleine gelassen. Du machst das schon.

So lange Zeit über hattest Du Angst. Nachdem Du mit den anderen Kaninchen zusammen gekommen bist, hast Du zuerst nach alter Manier fürchterlich gekämpft und selbst Angst und Schrecken verbreitet. Dein Mädchen ist Dir fremdgegangen, hat mit Emil herumgeschmust. Nelly kam Dich aber immer suchen, um auch mit Dir zu schmusen, sie hat ihre Gunst zwischen Euch beiden gerecht aufgeteilt. Aber Du hast Dich mit der Zeit immer mehr zurückgezogen.
Du hast Dich nicht mehr getraut, zum Essen zu kommen. Du hast verstohlen schnell etwas aus dem Topf geholt und bist damit weggerannt, um es heimlich in Dich hineinzustopfen. Oft genug hast Du auch nur die Reste gegessen. Einen extra Teller habe ich Dir schließlich hingestellt. Und dann habe ich hin- und her überlegt, Nelly und Dich wieder von den anderen abzutrennen. Über Vergesellschaftungen liest man immer wieder, dass sie unter Umständen Monate dauern können. Also habe ich weiter abgewartet in der Hoffnung, dass sich alles einrenken würde. Weil Du doch so ein kleiner tapferer Kämpfer warst. Wie nur konnte ich vergessen, dass Du bisher immer nur aus Angst gekämpft hast?

An jenem sonnigen Sonntag im September bin ich fröhlich Wiese für Euch alle pflücken gegangen. Es war ein Sonntag gewesen wie im Bilderbuch, ein seltener Sonntag voll friedlicher Ruhe und behaglicher Geruhsamkeit. Den Spätnachmittag über hatte ich in der Sonne verbracht, hatte irgendetwas gestrickt. Nachher irgendwann machte ich mich auf, das Abendbrot für Euch zu besorgen, und wie immer bin ich weiter gelaufen als geplant, nur um noch irgendetwas Besonderes für Euch zu finden. Ein hübsches Blümchen, einen extra dicken Halm, irgendetwas, das Euch gut schmecken würde. Wahrscheinlich habe ich den ganzen Weg über gegrinst, es war einfach ein perfekter Sommer-Sonntag gewesen und die Tiefenentspannung hielt weiterhin an. Pfötchenmann war in der Zwischenzeit damit beschäftigt, ein leckeres Abendessen für uns zuzubereiten, also stand auch dem weiteren geruhsamen Verlauf des perfekten Sonntags nichts im Wege.

Natürlich hatte ich wieder mehr Wiese mitgebracht, als Ihr alle essen konntet, aber egal, der Sommer neigte sich, also habe ich so viel wie möglich gesammelt, wer weiß wie lange noch. Wie immer habe ich es mir gemütlich gemacht auf meinem Beobachterstuhl, und zufrieden habe ich Euch zugesehen, wie Ihr Euch, wie immer, begeistert auf das saftige Grün gestürzt habt. Und Du, Karli, ja, ich sehe Dich, immer und immer wieder wenn ich an Dich denke, wie Du ein Blatt Löwenzahn ergatterst, damit zur Seite läufst, und anfängst es hastig in Dich hineinzustopfen. Aber da kommt er, Emil, der wahnsinnige Jack Russel unter den Kaninchen, der nie, niemals aufhören kann im Kampf, immer und immer weiter machen muss, einfach kein Ende findet. Und auch jetzt wieder greift Emil Dich einfach so an, obwohl Du abseits sitzt mit dem Löwenzahn im Mäulchen, immer noch mümmelnd, und ihn in keinerlei Weise provozierst. Er greift Dich von der Seite an, fällt dann komplett über Dich her, das Stückchen Löwenzahn verschwindet unter Euren verschlungenen Körpern. Ich sehe eine fürchterliche Auseinandersetzung voraus, spüre dass es anders, ernster ist als sonst, springe direkt auf, muss eingreifen, schnell, Arme und Hände weit ausgestreckt, zum Teufel mit dem Ratschlag, nur mit Handschuhen dazwischen zu gehen! Ich muss Euch trennen, egal wie, sofort, jetzt, aber zu spät, zu spät: Du liegst auf der Seite, die Läufe weit von Dir gestreckt, Dein Köpfchen verdreht sich um 90 Grad, Du zuckst so merkwürdig, Dein ganzer Körper verdreht sich immer weiter, ich wimmere, bin plötzlich wie gelähmt. Emil lässt ab und fällt wieder über Dich her, obwohl Du verdreht vor ihm liegst, wehrlos, am Boden, am Ende.

Ich wimmere erneut, mehr kann ich nicht, reiße zeitgleich Emil von Dir weg, weiß gar nicht mehr wie, hasse ihn dabei so intensiv, mir graut vor mir, verdränge alles, denn behutsam, ganz behutsam hebe ich Dich auf, Dein Köpfchen, was ist mit Deinem Köpfchen, und Pfötchenmann steht vor der Tür vom Gehege: "Was ist los???" Er steht NIE vor der Tür, wenn ich zum Essen bei Euch bin.

Ach Karli, Du armer, armer Schelm. Du hast wieder um Hilfe gerufen, verzweifelt, ein allerletztes Mal. Und Pfötchenmann hat Dich gehört, durch die Wände der Scheune und unseres Fachwerkhauses hindurch. Doch dieses Mal kann er Dich nicht retten.
Ich halte Dein verdrehtes Köpfchen, so zerbrechlich, so unendlich kostbar. Ich weiß jetzt, das war einfach alles zuviel. Zuviel Stress, zuviel Kampf, zuviel Anstrengung für solch ein kleines gestörtes, ängstliches schwarzes Häschen, das sich sein Leben lang angestrengt hat vorzugeben, er sei ein Deutscher Riese.

Ich muss Dich kurz alleine lassen, um zu telefonieren, aber Pfötchenmann hält Dich fest, passt auf Dich auf. Unsere wunderbare Tierärztin wird uns die Tür auch am Sonntag öffnen, wir sollen in einer halben Stunde losfahren.
Eine halbe Stunde habe ich Dich noch auf dem Schoß gehalten, es war schwierig, weil Du Dich ständig in Krämpfen gewunden hast. Ich habe versucht, die Verdrehungen Deines Köpfchens auszugleichen, auch die Fahrt zur Tierärztin über. Wir wussten, dass es nur noch eine einzige Hilfe für Dich geben würde.

Auf dem Untersuchungstisch hat unsere Tierärztin in Deine Augen geleuchtet und nur gesagt: "Er ist schon sehr, sehr weit weg…".

Pfötchenmann beschwor mich, "Schau weg, schau nicht hin.". Aber das war doch wohl das Geringste, was ich noch für Dich tun konnte? Dich festhalten und bei Dir sein, Dir Energie und Liebe mitgeben auf Deinem letzten kleinen, langen Weg. Ach Karli.

Verzeih mir.

Du hast mich so vieles gelehrt, Du kleines schwarzes Häschen aus der schwarzen Box, und ich habe Dir unendlich viel zu verdanken. Dass Du mir auch noch im Tod eine Lehrstunde gibst, darauf hätte ich gerne verzichtet. Jetzt weiß ich zwar, in welchen Fällen Schuldgefühle und Selbst-Vorwürfe berechtigt sind. Aber lieber hätte ich weitergemacht mit eingebildeter Schuld, dafür aber noch viele lange Jahre ein glückliches schwarzes Häschen beobachtet.

Schlafe sanft und in Frieden, kleiner Freund. Ich weiß, es hilft Dir nicht, wenn ich Dir sage, wieviel Du mir bedeutet hast und dass ich Dich nie, niemals vergessen werde. Denn alles, was Du wolltest, war einfach nur leben.